Vom "sich etwas leisten können" - Teil 1

Veröffentlicht am 10. Januar 2025 um 10:50

Von Kramerläden und denen, die sich Kolonialwaren leisten konnten.

Es gab einmal eine Zeit, da waren heute übliche Lebensmittel unerschwinglich teuer gewesen. Die Gesellschaft war unterteilt in "die Reichen" und "die Armen". "Die Reichen" waren die "Besseren". Dazu gehörten die feinen Leute. Diese waren gebildet und hatten Berufe, in denen sie Ansehen hatten. Sie kleideten sich mit edlen Stoffen. Sie ernährten sich von den erlesenen Kolonialwaren. Wer es "sich leisten konnte" kaufte Zucker, Kakao, Schokolade, Kaffee, Tee, Wein und Gewürze aus den fernen Ländern. Diese Waren wurden importiert und in den Kramerläden verkauft.

Der Kramer (Ladeninhaber) kannte seine Kunden. Durch aktuelle Zufälle wurde mein Forschergeist wieder aktiv. Im Radio war das Wort "Kramer" genannt worden. Einer meiner Ur-Ahnen war ein Kramer. Das Interview erinnerte mich an ihn.

Ein paar Tage später sah ich ein Theaterstück im Fernsehen. Dort wurde davon gesprochen, dass der Kramer lieber "Kolonialwarenhändler" genannt werden wollte. Ich hörte genauer hin. Hier wurde von etwas gesprochen, das mir neue Zusammenhänge offenbaren sollte.

Im Herbst hatte ich begonnen mich mit meinen Schatten zu versöhnen. Ein großes Thema war meine Süßigkeitensucht. Weihnachten brachte viel Schokolade zu mir. Sie hatte Geld gekostet. Wegwerfen ging also nicht. Übrig blieb, sie zu essen. Nach wenigen Happen war die Barriere gebrochen und ich aß nur noch, anstatt diese zu genießen.

Wie konnte ich mich mit dieser Essucht versöhnen? Gedanken von "Schokolade essen ist erlaubt" bis hin zu "weiß nicht wie das gehen soll", kreisten in meinem Kopf. Wie sollte ich das Essen dieses Produktes versöhnen, wenn es mich schon einmal krank gemacht hatte? Süßwaren essen bis zum Umfallen hatte mir einst eine lebensbedrohliche Krankheit gebracht.

Wo war der Ausgang? Viele Fragezeichen gab es, ohne eine Frage zu haben, die mich weiter brachte.

Ich bat meine geistigen Freunde um Hilfe. Ich war ratlos, was nun zu tun sei.

Als im Radio vom Kramer gesprochen worden war und kurze Zeit später die Kolonialwaren so wichtig gewesen waren, klickte es in meinem Denken. Es war eine Tür aufgestupst worden. Ich konnte zum ersten Mal einen neu auf die Misere, niemals satt zu werden, blicken.

Wie erging es meinem Ur-Opa damals, als er Geschäftsinhaber gewesen ist und die reichen Leute die erlesenen Waren kauften, die er sich vielleicht nicht leisten konnte?

Wie erging es seiner Frau, meiner Ur-Oma, wenn sie sah, wie die Wohlhabenderen sich Schokolade gönnten, ein Paket orientalischer Kaffeebohnen mit nach Hause nahm, und ein paar Pfund vom Zucker, mit dem sie so wohlduftende Leckereien backten?

Könnte es sein, dass einer meiner Vorfahren neidisch waren, auf die, die es sich leisten konnten, Luxusgüter zu erwerben?

Welche Überlegungen!
Neid als Grund zu viel zu essen, weil es sich "andere leisten konnten".

Wie komme ich darauf?

Immer wieder höre ich, wenn zu schlanken Mitmenschen im Zusammenhang mit Essen der Satz fällt: "Du kannst es dir doch leisten, noch eine Portion zu nehmen." Der Original Zusammenhang war ein anderer, als der es heute ist.

Es könnte sein, dass meine Vorfahren sich damals nach diesen Kolonialwaren sehnten und diese mit ihrem geringen Einkommen unerreichbar weit weg gewesen waren. Sie mussten damit klarkommen, wie sich andere diese Waren kauften und ihre Familien damit versorgten.

Es könnte sein, dass ihre ungestillte Sehnsucht an ihre Nachkommen weiter vererbt wurde und der ein oder andere Enkel eine Gier nach Süßem, Schokolade, Wein und Kaffee entwickelt hat. Die Sehnsucht nach dem, was sich die anderen leisten konnten, war zu seiner Zeit nie gestillt worden.

Dieses Leck lebt in uns Nachkommen weiter. Damals wuchs in meinen Ur-Großeltern eine Sehnsucht, sich endlich einmal satt essen können an Zucker und Schokolade. Endlich einmal genügend Kaffee und Wein trinken können, wie es die "Besseren" tun.

Als Nachkommen können wir die Sehnsucht unserer Vorfahren nie stillen. Wir können noch so viel konsumieren, ein Gefühl von satt sein und genug zu haben wird sich nicht etablieren.

Was wir tun können, ist ihr Empfinden zu würdigen, ihren Mangel anzuerkennen, ihre Wünsche zu respektieren und ihr Gefühl von ausgeschlossen sein zu sein. Meine Vorfahren bewältigten ihr Leben, obwohl sie kaum von den Luxuswaren essen konnten.

Von den teuren Kolonialwaren nicht satt geworden zu sein ist ein Mangelzustand in meinen Ur-Großeltern. Dies zu wissen, ist ein erster Schritt in die Befreiung aus der Sucht.

Als Nachkomme kann ich heute nie satt werden, weil es gar nicht mein eigener Hunger ist. Es ist eine vererbte Sehnsucht.

Würdigen, dass meine Vorfahren Sehnsüchte hatten, weil diese Waren nicht bezahlen konnten, ist ein weiterer Schritt zur eigenen selbstbestimmten Ernährungsweise.

Versöhnung mit dem Schatten des Neides auf die oberen Gesellschaftsschichten.

Versöhnung mit der Fremdbestimmung, wie die Vornehmen essen und trinken zu können und ihnen ähnlich zu sein (gleich zu sein).

Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der alles zu kaufen ist. Was damals, vor mehr als hundert Jahren ein Luxusgut gewesen war, ist heute Grundnahrungsmittel geworden. Zucker, Kakao, Wein, Kaffee und Gewürze gibt es günstig für wenig Geld zu haben. Die inneren Muster und Prägungen sind jedoch noch von einst. Es lebt ein Widerspruch in uns. Mit klarem Bewusstsein meinen wir, wir könnten uns die Grundlebensmittel leisten. Das Unterbewusstsein vermittelt uns das Gegenteil.

Ich lade dich ein, auf dein Einkaufen zu achten. Zieht es dich mehr zu den Markenprodukten hin? Es kann auch sein, dass du dich aus einer inneren Loyalität heraus den No-Name-Waren zuwendest. Beides kann sein, wenn es zuvor das Gefühl gegeben hatten, zu arm zu sein, sich die Produkte leisten zu können, wie es andere konnten.

Daraus hat sich ein Schatten der Gier und des Neides gebildet. Dieser Schatten dirigiert uns aus dem Unbewussten. Von diesen Eigenschaften soll nie jemand erfahren, dass wir sie haben. Beide tarnen sich als Sucht. In der Sucht sind der Neid und die Gier versteckt enthalten. Das ist mit ein Grund, dass mir das viele Essen von Süßwaren und Schokolade nie ein Gefühl von satt sein vermitteln konnte.

Der Schatten besteht aus der ungestillten Sehnsucht zu den Reichen dazu zu gehören und uns die damaligen Kolonialwaren kaufen zu können. Es geht darum, uns mit dem Neid und der Sehnsucht zu versöhnen, "die, die es sich leisten können" zu beneiden. Bewusst wahrnehmen, dass wir all die einstigen Luxusprodukte schon eine sehr lange Phase unseres Lebens bezahlen können, ist hilfreich.

Es könnte sein, dass sich meine Ur-Ahnen Reichtum für ihre Enkel gewünscht haben. Die Enkel haben durch die alte Prägung nie bemerkt, wie gesegnet sie aufgewachsen sind und leben. Diese Aussage bezieht sich auf den Vergleich der Lebensweisen der Ur-Großeltern und uns Enkelkindern von heute.

Lieber Ur-Opa, liebe Ur-Oma. "Die Zeit hat sich gewandelt. Ich kann mir all die schönen Dinge heute leisten. Was damals, zu euren Lebzeiten unerschwinglich teuer gewesen war, kann ich heute genauso einkaufen, wie es damals nur die Begüterten tun konnten. Eure guten Wünsche sind bei mir angekommen. Danke dafür, dass ihr es gut gemeint habt mit mir, mit all euren Nachkommen."

co Michaela Aust

Foto von webador

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